Außerdem ist ein Telefon gefährlich

einbruch

Was entgegnet man auf solche Argumente wie das vom nächtlich unerwünscht klingelnden Telefon? Ich entscheide mich diesmal für Logik und einen kleinen Ausflug in die Welt der Technik. „Du kannst es doch nachts abstellen. Du kannst es leise stellen oder den Stecker aus der Dose ziehen. Und nur wenn du willst, dass man dich anrufen kann, steckst du ihn wieder rein.“ Ich bin fast stolz auf mich. Denn über Oma Klaras Gesicht huscht ein Lächeln, als hätte ich sie mit meinem Argument erschlagen. Aber in unserer kleinen Restfamilie gab es ja nun mal leider dieses erste bis zehnte Gebot, welches da hieß: Mache nie deine Rechnung ohne Tante Rosa. Und so war es auch diesmal – wobei ich darüber staunte, mit welcher scharfsinnigen Logik sie nun mein eigenes Argument gegen mich einsetzte: „Ja, und dann hat Klara es rausgezogen und du rufst an. Und dann kannst du sie nicht erreichen. Und dann machst du dir Sorgen und Umstände.“
Triumphierend blinzelte sie mich an. 100 Punkte. Solche Glanzleistungen waren zwar nicht an der Tagesordnung. Aber wenn Tante Rosa etwas absolut nicht wollte, dann musste man sich auf die verrücktesten Argumente gefasst machen. Und da konnte es auch schon mal vorkommen, dass sie einen Volltreffer landete. Ich sah mein Argument. Aber schon im nächsten Moment wurde mir dann klar, dass es wohl doch eher nur ein Zufallstreffer war. Denn nun kamen die nächsten Argumente, wenn man sie so nennen darf. Tante Rosa hob beschwörend und mit geheimnisvoller Würde den Zeigefinger. „Außerdem ist ein Telefon gefährlich.“
Irritiert blickte ich sie an, gespannt, was nun kommen könnte. Ich wusste: Wenn sie jetzt noch die Stimme senkt, dann musst du dich auf alles gefasst machen. Und sie senkte ihre Stimme. „Na, wegen der Einbrecher . . .“
Den Satz offen zu lassen und bestätigend mit dem Zeigefinger zu drohen, genauso, wie sie es jetzt tat, war immer ein sicheres Zeichen dafür, dass noch etwas kommen sollte. Aber es kam erst mal nichts. Sie wollte mich kommen lassen. Na, dann bitte. „Wieso Einbrecher. Was hat denn das Telefon mit Einbrechern zu tun?“
Ich wusste wirklich nicht, worauf sie hinaus wollte. Deshalb legte ich noch mal nach. „Es ist doch gut, wenn man Telefon hat. Falls mal Einbrecher kommen, kann man dann die Polizei rufen.“ „Nein. Man holt sich die Einbrecher mit dem Telefon ins Haus. Denn wenn es klingelt, weiß man gar nicht, wer dran ist. Und nachher will man mit dem gar nicht sprechen. Oder es ist ein Einbrecher dran. Und der will nur mal hören, ob man zu Hause ist. Und wenn man nicht zu Hause ist, dann kommt er.“
Innerlich verfluche ich das kriminalpolizeiliche Vorbeugungsprogramm. Aber ich bin entschlossen, noch nicht aufzugeben. „Das kommt doch nur im Krimi vor. Das ist doch viel zu mühsam, erst mal die Leute anzurufen. Die Einbrecher klingeln und wenn dann keiner aufmacht, dann wissen sie Bescheid. Aber mit dem Telefon – da musst du keine Angst haben.“
Ich lächle, um die Harmlosigkeit von Schnurlostelefone zu unterstreichen. Aber wenn sie etwas nicht will, dann will sie nicht. Und das gibt sie mir nun in der bekannten Weise deutlich zu verstehen: „Doch, es ist so. Man holt sich mit dem Telefon die Einbrecher ins Haus. Ich habe diese Woche noch im Park mit einem sehr netten älteren Harm zusammengesessen. Der war mal bei der Polizei. Und der hat das auch gesagt. Einbrecher rufen vorher an.“
Ich sage darauf nichts mehr. Denn wahrscheinlich rufen die Einbrecher nicht nur an, sondern geben ihren künftigen Opfern auch schon Bestelllisten durch, was wann zusammenzupacken ist. Wahrscheinlich hat es heute wieder keinen Sinn, das Gespräch fortzusetzen. Aber einen Versuch starte ich noch, weg vom Einbrecher. „Aber ihr werdet doch nicht jünger. Und ihr könnt doch auch mal krank werden. Und dann könntet ihr mit dem Telefon Hilfe rufen.“

Beide schütteln den Kopf. Und wie so oft spricht Tante Rosa gleich für ihre Schwester mit. „Klara braucht das nicht. Die hat doch Frau Klaus im Haus wohnen. Und da kann sie hingehen, die hat Telefon. Und ich brauch das auch nicht. Ich kann hier auf der Etage zu Frau Klaus gehen. Nun sind wir so lange ohne Telefon ausgekommen, da müssen wir jetzt auch keins mehr haben. Im Alter soll man nichts Neues mehr anfangen.“
So oder ähnlich scheiterten dann alle meine Versuche, in Sachen Telefon etwas zu bewegen. Vielleicht war es auch schon zu spät dafür, vielleicht hätte ich Jahre früher versuchen sollen, die beiden dazu zu überreden. Aber manchmal fehlte mir auch einfach der Nerv zu weiteren Überredungsversuchen. Denn es gab da ja nicht nur die Argumente mit den Einbrechern, die ich immer wieder von Tante Rosa zu hören bekam. Nein – da war ja auch noch die technische Komponente, mit der Oma zu argumentieren pflegte. Vielleicht in derselben Form, wie es Ihre älteren Angehörigen in Sachen Handy-Strahlung zu tun pflegen, wollte sie mich immer von den Gefahren eines schnurgebundenen Telefons überzeugen. „Ich will so einen Apparat nicht. Da ist ja schon viel zu viel passiert.“
„Was ist denn da passiert?“ Ja. mit der Elektrizität. Da ist viel passiert.“ „Mit welcher Elektrizität?“ „Die sind doch elektrisch, die Apparate. Und da kann viel passieren mit der Elektrizität.“
„Aber was soll denn da passieren?“ So ganz genau weiß ich nicht mehr, ob ich in dieser Phase des Gesprächs mit den Zähnen geknirscht, die Augen verdreht oder nach einer Chance gesucht habe, unbemerkt in die Tischplatte zu beißen.